Ich sitze hier gemütlich in meinem Zimmer, eine Kerze flackert, zu meinen
Füßen schläft friedlich meine treue Freundin, meine Hündin
Sasskia.
Meine Gedanken schweifen ab, in die Vergangenheit, an einen Winternachmittag im
vor einigen Jahren. Es war kalt, leichter Schneefall und Frost. Damals war ich
ein Teenager im besten Alter von 13 Jahren, und nachmittags war ich mit meiner
Clique an einem kleinen See in der Nähe gewesen. Übermütig
hatten wir ausprobiert, ob das Eis schon hielt, und waren beim ersten Knacken
schnell und laut kreischend wieder ans sichere Ufer gerannt. Es dämmerte
schon, als ich mich endlich an meinen Schreibtisch setzte, um die
verhaßten Hausaufgaben zu machen.
Plötzlich hörte ich ganz deutlich meinen Namen, "Nadine",
ganz laut. "Ja, was ist denn, ich komme", antwortete ich und ging in
die Küche zu meiner Mutter, da ich ja glaubte, daß sie mich gerufen
hätte. Aber sie schaute mich nur erstaunt an und schickte mich zu meinen
Schularbeiten zurück.
Etwas verwirrt setzte ich mich an meinen Schreibtisch, doch nach ein paar
Minuten hörte ich wieder meinen Namen, "Nadine", ganz laut ud
deutlich. Ich drehte mch zur Tür um - und da stand eine durchschimmernde,
helle Frauengestalt, die mir winkte und durch Handzeichen zu verstehen gab,
daß ich ihr folgen solle. Merkwürdig war, daß ich überhaupt
nicht erschrocken war und auch keine Angst hatte. Die Frau strahlte so
unendlich viel Leibe und Verständnis aus. Sie erinnerte mich an meine
heißgeliebte Oma, die vor zwei Jahren gestorben war. Ich vermißte sie
immer noch fürchterlich und sehnte mich oft nach ihrer liebevollen,
gütigen Art.
Ohne nachzudenken stand ich auf, zog mir meine dicke Jacke und Schuhe an und
verließ die Wohnung. Die Worte meiner Mutter, die natürlich wissen
wollte, wo ich hinging, hörte ich gar nicht. Unten auf der Straße
schlug ich automatisch den Weg zum See ein. Manchmal glaubte ich, ein schwaches
Leuchten vor mir zu sehen, dann war es wieder weg. Wie im Schlaf ging ich
weiter, bis ich an den See kam. Dort gibt es eine kleine Brücke über
einen Bach, der in den See fließt. Dorthin zog es mich, und
unwillkürlich verfiel ich in einen Laufschritt. Als ich näher
gekommen war, hörte ich ein Platschen und ein klägliches Wimmern.
Dann sah ich es: ein Hundebaby war im Eis eingebrochen und versuchte
verzweifelt, sich ans Ufer zu retten. Aber es war schon völlig am Ende der
Kräfte, sehr viel später hätte ich nicht kommen dürfen.
Ohne auf das eisige Wasser zu achten, stürzte ich in den Bach, der an der
Stelle zum Glück nicht allzu tief war. Das Wasser ging mir nur bis zu den
Knieen, aber für das Hundebaby war es tödlich tief. Ich fischte das
eiskalte, zitternde, winselnde Bündel heraus und steckte es unter meine
Jacke.
Zwei dunkle Augen schauten mich dankbar an, und eine winzige rosa Zunge begann,
meine Hände abzulecken.
Ich kam mir vor, als würde ich aus einem Traum erwachen. Erstaunt sah ich
mich um - und sah auf der Brücke ganz deutlich zum letzten Mal diese
seltsame durchsichtige, weiße Frau stehen. Sie winkte mir zu, und in
meinen Ohren hörte ich die Stimme: "Du hast Deine Freundin gefunden,
behandle sie immer gut, und sie wird Dir eine treue Gefährtin sein."
Dann löste sich die Gestalt auf.
Jetzt erst spürte ich die Nässe und Kälte an meinen Beinen und
inzwischen auch unter meiner Jacke, denn das Hundebaby war ja triefnaß. Im
Dauerlauf rannte ich mit dem zitternden Bündel nach Hause. Meine Mutter
war natürlich nicht sehr erfreut über den Familienzuwachs, aber nach
einigen Diskussionen und nachdem sich der Besitzer trotz Nachfragens nicht
ausfindig machen ließ, durfte ich Sasskia schließlich behalten.
Heute ist sie schon 12 Jahre alt, und sie hat mich immer treu durch mein Leben
begleitet und mir in mancher dunklen Stunde durch ihre Treue und Liebe das
Leben erträglicher gemacht.
Nadine Schwertmann
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